Heldentod der alten Stedinger

Aus Ev. Kirchengemeinde Grambke
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Heldentod der alten Stedinger

1. Des Volkes Ursprung und Freiheiten

Das Stedingerland ist jetzt der Wohnsitz ruhiger, friedliebender Menschen, die unter einer gerechten und milden Regierung die Segnungen des Friedens im vollsten Maaße genießen. Der fette Boden bringt alle Lebensbedürfnisse hervor, und die Ströme des Landes gewähren eine einträgliche Fischerei und eine lebhafte Schifffahrt. So vergeht ein Jahr wie das andere, Jeder ist mit seinem Loose zufrieden, und die Ruhe des Landes ist ungefährdet.

Wie ganz anders war es vor sechshundert Jahren! Dazumal hatten sich die Stedinger erhoben gegen geistliche und weltliche Oberherrn; sie hatten die letzten Spuren unwürdiger Knechtschaft im Lande vertilgt, standen gerüstet, um die gefährdete Freiheit zu vertheidigen und zogen die Augen der gesamten Christenheit auf sich. Wie mochte der leibeigene Bauer in allen Landen ringsum aufhorchen, wenn er von den kühnen, tapfern Landleuten hörte, die sich selbst genug dünkten, und Adel und Geistlichkeit vertrieben hatten! Mit welcher Spannung mochte er den Berichten ihrer Siege entgegensehen! Aber die Geistlichkeit trug zeitig Sorge, dieser lebhaften Theilnahme entgegenzutreten, indem sie die Stedinger als gottvergessene Heiden darstellte und die abgeschmacktesten Gerüchte über ihr unchristliches Thun in Umlauf setzte.

Die alten Stedinger waren niederländischer und friesischer Herkunft. Die Marschgegend von der Ochtum bis abwärts zur Hunte war in uralter Zeit fast gar nicht bewohnt, weil sie bei dem Mangel an Bedeichung von den Wasserfluten überströmt wurde. Die Bewohner der nahen Geesten hatten dort ihr Heuland und Viehtriften. Auch die Ufer der Ochtum und Wumme lagen weit und breit wüste; denn dort fand sich nichts als Bruch und Sumpf.

Da kamen Männer aus den Niederlanden, die in ihrer Heimath gelernt hatten, wie man dem Wasser den festen Boden streitig macht durch Gräben und Dämme, und der Erzbischof, dem jene Einöden gehörten, war sehr damit zufrieden, als sie sich bereit erklärten, sich dort niederzulassen und räumte ihnen große Vorrechte ein.

Mit den Ankömmlingen vermischten sich allmälig die wenigen sächsischen Ureinwohner der Geesten, und die sämmtlichen Anbauer vereinten sich unter dem Namen der Stedinger zu einer besonderen Volkerschaft, deren Wohnsitze sich von Ovelgönne herauf durch das jetzige Stedingerland verbreiteten. Dazu kamen aber noch einzelne Landstriche in der Umgegend der Stadt Bremen, das Viehland, Hollerland, Blockland, Werderland, und auf dem rechten Weserufer die Gegend von Leßum bis zum Lande Wührden. Dieser letzte Strich wurde Ost-Stedingen oder Oster-Stade genannt. Der Umfang des Landes war also damals ungleich beträchtlicher als zur jetzigen Zeit.

Von den Bischöfen war ihnen die Freiheit der Person und jede Befreiung von Dienstleistungen zugesichert; ferner Unverletzlichkeit und erblicher Besitz ihrer Grundstücke. Die Abgaben waren unbedeutend und nicht der Rede werth; sie bedienten sich ihres vaterländischen Rechts und wählten die Richter aus ihrer Mitte. Solche Rechte waren unerhört im ganzen Sachsenlande, und als das Volk im Laufe der Zeiten zahlreich und streitbar wurde, besorgte der benachbarte Adel und die Geistlichkeit, daß der arme, gedrückte, leibeigene Bauer auf ihren Gütern ein Beispiel an den Stedingern nehmen und mit der Zeit auch für sich manche Befreiung verlangen möge. Sie boten deshalb Alles auf, um die Freiheiten des Stedingerlandes, die ihnen so gefährlich zu werden drohten, bei Zeiten zu schmälern und den aufstrebenden Sinn des kühnen Volkes zu demüthigen.

Die ersten Anbauer hatte es nicht gehindert, daß die Grafen von Oldenburg Burgen im Lande erbauten; theils mochten sie es nicht ahnen, wie gefährlich diese Festen ihrer Freiheit werden könnten, theils nahmen sie dieselben sogar bei ihrer ursprünglich geringen Anzahl als einen Hort und sichere Zuflucht vor den Anfällen der Nachbarn. Als aber die Burgmänner mit der Zeit anfingen, allerlei Zins und Abgaben zu erpressen, da sahen die Stedinger mit Grausen, wohin solche Nachbarschaft endlich führen müsse.

Die Geistlichkeit trug zur Unterdrückung des Volks ebenfalls das Ihrige bei. Der Erzbischof verlangte anstatt der vertragsmäßig festgesetzten, eilften Garbe, die zehnte, und die niedern Geistlichen forderten im Laufe der Zeit mit Ungestüm, als komme es ihnen zu von Gott und von Rechts wegen, was anfänglich der fromme Sinn der Stedinger ihnen freiwillig gegeben.

Es konnte nicht fehlen, daß eine gewaltige Erbitterung gegen diese Bedrückungen und Erpressungen im Volke entstand, die nicht selten Widersetzlichkeiten zur Folge hatte und Blutvergießen. Allein die Stedinger sahen ein, daß solches Alles doch zu nichts führen würde, so lange noch der Adel dem Ingrimm des Volks von seinen Burgen aus ruhig Trotz bieten könne.

Da versammelten sich die Bewohner der nördlichen Gegenden (1187) im Dunkel der Nacht am Brokdeich, wo dazumal sich ein großer Wald befand, um die Noth des Landes zu berathen. Hier wurde ein Angriff auf die benachbarten Vesten beschlossen, indem man im Fall des Gelingens auf den Beifall und die Unterstützung aller Stammesgenossen rechnete, und der eine Haufe zog gegen die Lichtenburg, der andere nach Linen. An beiden Orten vermochte man dem Andränge nicht zu widerstehen, die Burgen mußten sich ergeben, und die Burgmänner fielen als Opfer ihres Uebermuths. Die Lichtenburg sowohl als die Line wurden angezündet und gänzlich zerstört.

Dieses Beispiel reizte die südlichen Stedinger zur Nachahmung. Auch sie erhoben sich gegen die Gewalthaber und vertrieben die Junker aus dem Lande.

2. Der Beichtpfennig.

Dem Erzbischof Hartwich I. mochte es ganz erwünscht sein, daß die Macht der oldenburgischen Grafen einen so empfindlichen Stoß erlitten; denn er unternahm vor der Hand nichts, um die Aufrührer zu züchtigen. Er rüstete sich vielmehr, als ob nichts vorgefallen wäre, zu einer Fahrt ins heilige Land, und beschwerte sich erst auf der Rückreise beim Papst Innocenz III. über die Widerspenstigkeit der Stedinger, welche sich weigerten, den Zehnten zu entrichten. Ob dieser Frechheit entrüstet, schenkte ihm der Papst das Schwert Petri, womit er des Hohenpriesters Knecht das Ohr abgehauen und versprach zugleich, wenn solches zur Dämpfung des Aufruhrs nicht hinreichen sollte, daß die Stedinger als Ungläubige betrachtet und das Kreuz gegen sie gepredigt werden sollte.

Zwar fand er bei seiner Rückkehr die Burgen von den Oldenburgern wieder besetzt. Doch mußten die Junker nach einigen Jahren das Land wieder räumen, und nur Graf Moriz, der das Land nicht beunruhigte, mochte ungestört auf seiner Burg zu Berne hausen. Auch der Erzbischof behelligte die Stedinger jetzt nicht und erwartete, was die Zeit bringen würde. Das Volk selbst aber schien sich mehr und mehr zu beruhigen.

Plötzlich aber belehrte ein schreckliches Ereigniß die Arglosen, daß der Uebermuth der Geistlichkeit keineswegs gebrochen, daß sie von grimmigem Haß erfüllt sei gegen das Volk, und daß man von ihrer Tücke das Aergste zu besorgen habe.

Eine Edelfrau war nämlich am Tage vor Ostern in der Berner Kirche zur Beichte gegangen und da der Flinderken dem habsüchtigen Geistlichen als Beichtpfennig für die angesehene Frau zu geringe scheinen mochte, so machte er dies auf eine empörende Art dadurch bemerklich, daß er ihr am folgenden Tage, als sie kam, das heilige Abendmahl zu genießen, das Geld statt der Oblate in den Mund steckte. Die Frau, in der Meinung, daß sich der heilige Leib in Metall verwandelt habe, lief voller Bestürzung zu Hause und nahm mit einem reinen Tuche den Silberpfennig aus ihrem Munde.

Da ergrimmte ihr Eheherr, der wackere Bohlke von Bardenfleth und beklagte sich bei dem Vorgesetzten des Pfaffen über die erlittene Schmach, wurde aber mit schnöder Geringschätzung abgewiesen. Das war dem Beleidigten zu viel, und er meinte, es sei endlich an der Zeit, sich selber zu seinem Rechte zu verhelfen.

Er schickte deshalb Boten an alle seine Verwandten, fern und nah, benachrichtigte sie von der Unbill, welche ihm die Geistlichkeit zugefügt habe und forderte sie dringend auf, sich am nächsten Sonnabend in seiner Wohnung einzufinden, um das Weitere zu berathen. Um vorläufig größeres Aufsehn zu vermeiden, möchten sie es so einrichten, daß sie nicht vor der Abenddämmerung einträfen.

3. Die Mönche.

Der bestimmte Tag erschien, und so lange die Sonne am Himmel stand, ging ein Jeder auf Bolkes Hofe seinen Beschäftigungen nach; das Gesinde war den Tag über im Felde beschäftigt und kehrte, so wie aus der Ferne die Töne der Vesperglocke herüberschallten, fröhlich singend heim. Das Abendbrot stand bereit, und so wie die Leute gegessen, ging ein Jeder nach alter Gewohnheit zur Ruhe, um sich von den Beschwerden des Tages zu erholen.

Alles Gesinde war zu Bette, und es war sehr stille geworden im Hause. Die Hausfrau saß auf einem niedrigen Schemel am Heerde, und sah betrübt und nachdenklich dem Spiele der ersterbenden Flammen zu; Bohlke schritt unruhig auf der Hausflur auf und ab und trat dann und wann vor die Thür hinaus, um zu sehen, ob sich denn Niemand einstellen wolle. Aber es dunkelte schon bedeutend, die Ferne hatte sich den Blicken gänzlich entzogen; ringsum herrschte tiefe Stille, und nur vom Strom herüber ertönte das Rufen der Schiffer.

Immer ungeduldiger wurde der Edelherr, daß sich keiner der Eingeladenen zeigen wollte; er hatte es ganz vergessen, daß er ihnen selbst die späte Abendstunde bestimmt. Er setzte sich schweigend seinem Weibe gegenüber an den Heerd und starrte vor sich hin. Da erdröhnte mit einem Male ferner Hufschlag, und Bohlke schritt eilig an die Thür, um sich zu überzeugen, daß er sich nicht getäuscht habe. Nach wenigen Augenblicken schon trat er wieder ins Haus und in das Gemach der Frau. Diese saß immer noch ruhig am Heerde; das nahende Pferdegetrappel hatte ihre Aufmerksamkeit erregt und mit Verwunderung schaute sie auf das Beginnen ihres Mannes.

Der aber trat gleich darauf wieder hervor aus der Kammer, mit dem großen dunklen Schleier der Gattin über dem Arm.

"Es ziemt sich nicht," sagte er, indem er zu ihr trat, "es ziemt sich nicht, geliebtes Weib, daß du in Deiner Erniedrigung unsern Vettern Dein Angesicht zeigst. Ich will deine Schmach verbergen mit der Nacht des Schleiers, und du wirst das Licht der Sonne nicht schauen, bis das Unrecht gesühnt und Deine Ehre gerettet ist." Damit verhüllte er ihr das Haupt und die Schultern.

Regungslos saß das Weib auf dem Schemel, und nur ein tiefer Seufzer, der unter der Hülle hervordrang, gab Kunde, daß das Jammerbild noch lebe und athme. Der Mann aber eilte ans Thor und begrüßte die Ankömmlinge; denn sie kamen jetzt in großer Zahl, und zur Rechten und Linken eilten sie den Deich herauf. Sie kamen aus allen Gegenden des Landes, einzeln, oder wie sie sich haufenweise zusammengefunden hatten. Ein jeder war nur mit dem Unbill beschäftigt, welche der Familie widerfahren; Alle waren erfüllt von Rachegedanken, und Niemand achtete auf die beiden Mönche, welche demüthig zu Fuße desselben Weges wanderten. Sie kamen von Kloster Hude und wollten im Auftrage des Abtes nach Osterstade; aber die Nacht hatte sie ereilt, noch ehe sie über die Weser kommen konnten, und nun mußten sie sich nach einer gastlichen Herberge umsehen an dem diesseitigen Ufer. Auch durften sie im ganzen Stedingerlande auf eine freundliche Aufnahme rechnen. Denn sie waren wohlgelitten fern und nah, weil die Mönche dieses Klosters die Habsucht und Anmaßung der übrigen Geistlichkeit nicht theilten. Das nächste Gehöft war Bohlke's; dahin richteten sie ihre müden Schritte.

Die Männer waren indessen alle versammelt, und schweigend deutete der Junker nach dem Hintergrunde der Hausflur, wo am Heerde noch immer die Schwergekränkte saß, welche sie zu rächen gekommen waren. Einer nach dem Anderen trat hinzu, küßte das arme Weib auf die verhüllte Stirn und richtete Worte des Trostes an die Bekümmerte, die, von ihrem Elende beinahe erdrückt, nur mit Schluchzen und Seufzen antworten konnte.

Mittlerweile trat auch Bohlke hinzu; und die Flamme auf dem Heerde, welche noch einmal emporflackerte, beleuchtete mit ungewöhnlichem, seltsamem Scheine des Mannes bleiches, gramgefurchtes Antlitz, während die ganze übrige Umgebung von einem trüben Dämmerlichte umflort war.

"Ich habe," hub jetzt der Edelherr mit ernster Stimme an, "das unglückliche Weib dem Anblick der Menschen entzogen, und sie wird im Sack und in der Asche sitzen, bis die Schande von ihr genommen ist; nicht eher wird sie das ungetrübte Licht des Tages und den hellen Schein der Sonne wieder erblicken. Des Pfaffen Vorgesetzter verweigert jede Genugthuung; ich muß mir also selber helfen und habe einen feierlichen Schwur gethan, morgen den Schleier vom Haupte meines Weibes zu nehmen, noch ehe die Sonne zu Gott gegangen. Euch habe ich rufen lassen, Vettern und Freunde, um zu vernehmen, was mir obliege, um den Schimpf des Hauses zu rächen."

"Er muß sterben," tönte es ringsum, wie aus einem Munde, "er muß sterben, der übermüthige Pfaffe." Alle Wasserfluten sind nicht im Stande, die Schmach der Familie abzuwaschen, das kann nur des Gottlosen Blut."

Und sie traten hin zu ihm und küßten seine bleichen Wangen, Mann für Mann, als wollten sie ihn weihen zu dem blutigen Werke. Dann gab Bohlke seiner Gattin einen Wink, sich in ihr Gemach zu verfügen. Die Männer aber folgten jetzt dem Hausherrn zum Mahle, das bereit stand.

Die Mönche hatten unterdeß rüstig ihren Weg verfolgt und langten gerade in dem Augenblick bei dem Gehöft an, wo die Männer, die ihre Pferde in den Stallungen untergebracht hatten, sich ins Haus begaben. Jetzt erst, beim Anblick der vielen stattlichen, mit kurzen Schwertern bewaffneten Männer, fiel ihnen die Schandthat ihres Mitbruders schwer aufs Herz, und obgleich sie immer im ganzen Lande lieb und angenehm waren, so wagten sie es doch jetzt nicht, unter das Dach des Mannes zu treten, gegen den erst in den jüngsten Tagen die Geistlichkeit so übermüthig gefrevelt. Sie waren froh, daß man ihre Anwesenheit nicht bemerkt habe, und da es jetzt ganz still geworden war, so traten sie an ein Fenster, von welchem aus sie ungesehen die Hausdiele, und was dort vorgehe, überschauen konnten. Hier wollten sie einen Augenblick rasten, um hernach desto frischer ihren Weg fortsetzen zu können.

Aber was in dieser Welt hatte der Auftritt zu bedeuten, den sie beim dunklen Schimmer des Heerdfeuers übersehen konnten? Was war das für eine sonderbare Gestalt, die gebückt und froschartig am Heerde saß, und welche die Ankömmlinge der Reihe nach küßten? Wer war der bleiche Mann, dessen Antlitz hell beleuchtet war von der rothen Glut, welchen die ernsten Männer feierlich umarmten? Und endlich noch dies nächtliche Gastmahl, bei welchem nicht Scherz ertönte noch Gesang, als wäre es ein Leichenmahl?

Da regte es sich neben ihnen am Boden, und dem einen der Horcher schlüpfte es träge und schwerfällig über den Fuß. Rasch bückte er sich, und als er's emporhub, durchfuhr es ihn mit eisigen Schauern, denn er hielt eine kalt-feuchte Kröte in seiner Hand.

Sein Gefährte hatte nicht sobald das ungestalte Thier erblickt, als er durch's Fenster nach der Stelle hindeutete, von welcher sich soeben die gebeugte, gramerfüllte Gestalt der Frau entfernt hatte; es war ihm ein Gedanke ganz besonderer Art gekommen.

"Wird es nicht auch Dir jetzt klar," fragte er mit leiser bebender Stimme, "was es mit jenem Unholde am Heerde für eine Bewandniß habe?"

"Du hast recht," erwiederte der Angeredete schaudernd und schleuderte das Thier weit von sich weg.

"Was unsere Augen dort gesehen, was war es anders als eine menschengroße Kröte? Laß uns eilen, diesen Ort der Sünde, der Zauberei und des Schreckens zu verlassen. Der blasse Mann und die Kröte! Eine solche Nähe kann keinen Segen bringen."

Eilends machten die beiden Wanderer sich davon und verschwanden bald im Dunkel der Nacht.

4. Blutige Rache.

Der folgende Morgen war trübe und wolkig, und ein feiner Regen, der unablässig herniederträufelte, machte die Wege fast ungangbar. Dadurch ließen sich aber die Männer nicht zurückhalten, die schon in der Frühe von Bohlkes Hause aufgebrochen waren und mit Zurücklassung ihrer Pferde den Weg nach Berne eingeschlagen hatten. Einzeln oder in kleinen Abtheilungen, um jedes Aufsehen zu vermeiden, schritten sie auf verschiedenen Pfaden dahin, und ein Jeglicher trug ein kurzes Schwert unter seinem Oberkleide, zu Schutz und Trutz. Es wurde wenig gesprochen, denn man hatte die Nacht über schon Alles genau erwogen und verabredet. Ein Jeglicher ging schweigsam vor sich hin in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten.

Bohlke befand sich bei dem ersten Haufen; sein Gesicht war sehr bleich vor krankhafter Aufregung, im übrigen zeugten seine Mienen von kalter, fester Entschlossenheit. Er blickte unruhig nach dem Flecken hinüber, in dessen Nähe sie bereits angelangt waren, wie das Raubthier, wenn es die Beute wittert.

"Jetzt müssen wir eilen," hüb er mit ängstlicher Hast an, indem er sich an diejenigen wandte, welche ihm zunächst gingen. "Schon sehe ich einzelne Kirchgänger zurückkommen; die Messe ist vorbei, und wenn wir uns nicht sehr sputen, so ist das Pfafflein zurück nach der Burg und in Sicherheit und lacht sich über unser ohnmächtiges Unternehmen ins Fäustchen."

Alle beflügelten ihre Schritte, denn sie sahen, daß Bohlkes Bemerkung nur zu wahr sei, und je weiter sie in den Flecken eindrangen, je größer wurde das Getümmel der heimkehrenden Kirchgänger. So gelangten sie auf den Kirchhof und stellten sich vor der Thür des Gotteshauses in einer Reihe auf; Bohlke stand dem Ausgange zunächst.

Da trat der Pfarrer heraus, angethan mit den heiligen Gewändern, über welche er leicht einen Mantel geworfen, um sie vor der Nässe zu schützen. Uebermüthig und ohne ihn eines Blickes zu würdigen, schritt er an dem Edelherrn vorüber, und als sich derselbe ungeduldig vordrängte, schob er ihn unsanft zur Seite und schaute trotzig zurück nach dem ungestümen Dränger.

So wie er aber Bohlke's Züge erkannte, trat er erblassend beiseit und wandte sich eilig zurück, um wieder die Schwelle des Gotteshauses zu erreichen, wo er sich sicher dünkte vor jeder Gewaltthat. Denn des Edelherrn und seiner Sippschaft Anwesenheit weissagten ihm nichts Gutes. Aber es war zu spät, und wie der Cherub mit dem Flammenschwerte die Pforten des Paradieses hüthet, also stand Bohlke mit gezückter Wehr auf der Schwelle des Tempels und wehrte jeglicher Rückkehr.

Jetzt gab sich der Priester verloren, und mit Zagen schaute er, wie des schwerbeleidigten Mannes Augen vor Mordlust funkelten. Aber noch einmal wollte er den Versuch machen, ob nicht die so oft gemißbrauchte Heiligkeit seines Standes ihn vielleicht retten möchte. Und er warf den Mantel von sich, so daß er da stand in seinen geweihten Gewändern, und mit Donnerstimme rief er: "Weiche zurück, daß der Diener des Herrn einziehen möge in das Heiligthum seines Gottes. Oder Feuer wird fallen vom Himmel, den Saamen Amaleks auszurotten und zu vertilgen die letzte Spur von Midian!"

Aber des frechen Mannes Worte verhallten, ohne die Blitze des Himmels herabbeschworen zu haben; wohl aber funkelte der Stahl in Bohlkes Hand und senkte sich tief in die Brust des Frevlers, der dumpf röchelnd vor der Kirche zusammenbrach. Das Volk, welches der seltsame Anblick haufenweise herbeigezogen hatte, stieß bei der unerhörten That einen Schrei des Entsetzens aus. Ein Mord im Bereiche der Kirche! Der Mord war verübt an einem Priester, und weder die Nähe des Tempels, noch die heiligen Gewänder hatten ihn geschützt!

Bohlkes Freunde schaarten sich sogleich um ihn her, um zu verhüthen, daß er nicht auf der That ergriffen würde. Aber dies war kaum nöthig; denn obgleich die Leute anfangs bestürzt waren, so dauerte es doch nicht lange, das sie die rasche That laut billigten und riefen, der Uebermüthige habe seinen gerechten Lohn empfangen, und laut jauchzend folgten sie dem abziehenden Haufen bis vor den Flecken.

5. Des Erzbischofs Fluch.

Als der Geistlichkeit die Kunde dieser Blutthat zu Ohren kam, gerieth sie in große Furcht und betrieb mit Ernst und Eifer die Auslieferung des Mörders; denn sie wollten ihn einen doppelten und dreifachen Tod erleiden lassen, daß er ein Beispiel wäre für Jahrhunderte, und das Volk für immer von jeder Gewaltthat und Widersetzlichkeit gegen die Geistlichkeit zurückgeschreckt würde.

Dies Mittel verfehlte aber bei den Stedingern gänzlich seinen Zweck. Jedes andere Volk, was mit diesem schrecklichen Fluch belegt war, fühlte sich gebrochen bei dem Verlust der zeitlichen und ewigen Glückseligkeit. Bei den Stedingern aber brachte diese gefürchtete Maaßregel die entgegengesetzte Wirkung hervor, und, anstatt sich zu beugen, erhoben die kühnen Männer gegen ihre Unterdrücker nur desto muthiger ihr Haupt, verfolgten die Geistlichkeit mit ungezähmtem Grimme und vertrieben dieselbe ganz und gar aus ihren Gränzen; des Erzbischofs Herolde, die dies Interdict verkündigten, wurden verspottet, die Zehnten aber von jetzt an gänzlich verweigert. Die Stedinger begnügten sich auch nicht mehr damit, die Bedrückungen der Geistlichkeit und der benachbarten Edeüeute von sich abzuwehren, sondern sie verfuhren nun angriffsweise und vertrieben unter ändern den Grafen Moritz den I. von Oldenburg von seiner Burg Berne, wo er lange Jahre in Ruhe gewohnt hatte.

Jetzt verbanden sich die nördlichen und südlichen Stedinger mit den Osterstadern und kamen dahin überein, daß sie keine andere Obrigkeit unter sich dulden wollten, als die sie sich selber erwählt, nach dem Beispiel ihrer nördlichen Nachbarn, der Rustringer Friesen, bei welchen es ebenfalls Brauch war, nur Gott zu gehorchen und den Männern, welche sie selber dazu ausersehen. Und damit diese neue Freiheit fortan unangetastet bleiben und herrlich unter ihnen emporblühen möge, hielten sie es für gut, ihren Feinden den Eintritt ins Land zu erschweren. Nordwärts war dies überflüssig; da wohnten stammesverwandte Männer, das edle Volk der Rustringer; den Westen schützten ausgedehnte Moorflächen, im Osten schien der Weserstrom ein festes Bollwerk und die verbündeten Osterstader. Nur im Süden war das Land zugänglich, gegen die Stadt Bremen hin, und deshalb führten sie hinter der Ochum ein Werk auf, das unüberwindlich war nach der Kriegskunst damaliger Zeiten.

Sie legten nämlich zwischen den Ortschaften Deichhausen und Weyhausen den sogenannten Steingraben an, der in gerader Linie sich nach der Ochum hinzog, über siebenhundert Fuß lang und an seinem Ende mit einer steinernen Brücke versehen war, um die Verbindung mit den diesseitigen Landsleuten zu unterhalten. Hinter dem Graben zog sich ein haushoher Steindamm her, der in der Nähe von Weyhausen ein enges Thor, wahrscheinlich auch ein Wachthaus hatte. Zu diesem Steindamm wurden vermuthlich die Ruinen der Burgen benutzt.

Der Steingraben ist noch heutigen Tages unter dem Namen Landwehr vorhanden; auch lebt noch die Benennung des Wachthauses im Munde des Volks, aber der Steindamm ist bis auf die letzte Spur verschwunden.

Während sich die Stedinger auf diese Weise rüsteten, durchzogen die entflohenen Priester alle umliegenden Länder und verbreiteten von den tapferen Männern die abscheulichsten Gerüchte; die aber ihrerseits waren auch nicht müssig, ihren Haß gegen die Geistlichkeit bei jeder Gelegenheit an den Tag zu legen, und als die Cistercienser zu Bergedorf ein Kloster bauen wollten, zogen die Bewohner der Umgegend dort hin, warfen die Mauern nieder und vertrieben die Mönche, welche darauf zum Grafen Moritz in Hude ihre Zuflucht nahmen.

Es wird nun freilich erzählt, daß Hartwich sich ernstlich gerüstet habe, um die Widerspenstigen zu züchtigen; auch verzieh er einigen Mördern des Grafen Christians, des Kreuzfahrers, unter der ausdrücklichen Bedingung, gegen die Stedinger das Schwert zu ergreifen. Doch schien er wenig Erfolg gehabt zu haben, und als er im Jahre 1208 starb, und sein Nachfolger Waldemar, dem der Papst den Bischof von Osnabrück Gerard I. entgegenstellte, sich mit Hülfe der ihm zugethanen Bremer seines Nebenbuhlers nicht erwehren konnte, wandte er sich an die streitbaren Stedinger, die denn auch mit Freuden seine Parthei ergriffen und einige feindliche Burgen eroberten. Im Jahre 1212 belagerten sie auch Hagen und Stotel und eroberten sie nach kurzem Berennen.

Darauf verwüsteten sie einen großen Theil des Erzstifts, bis der Graf Heinrich von Hoya sich ihnen entgegenwarf und ihnen eine Niederlage beibrachte, worauf sie sich in ihr westliches Gebiet zurückzogen. Der Graf ließ einige von ihnen, welche in Gefangenschaft gerathen waren, als Aufrührer an den Galgen hängen.

Aber die Stedinger waren durch diese Niederlage keineswegs gebeugt, vielmehr wandten sie sich jetzt gegen die Burg Schlutter, welche Gerhard bei Delmenhorst erbaut hatte; sie fiel in ihre Hände und wurde zerstört.

Die Erfahrung hatte sie gelehrt, daß es zweckmäßiger sein würde, wenn sie weniger zerstreut im Lande wohnten, weil sie alsdann einem etwaigen feindlichen Ueberfall schneller eine zahlreiche Mannschaft entgegensetzen konnten. Sie zogen sich deshalb näher an die Deiche, die man im Nothfall durchstechen konnte, um die Feinde am Eindrängen zu hindern.

Als der Erzbischof Gerhard diese Entschlossenheit sah, suchte er das tapfere Volk für sich zu gewinnen, um sich desselben gegen seine Nebenbuhler zu bedienen. Er schickte Gesandte an sie und brachte sie durch große Versprechungen wirklich auf seine Seite. Er verzichtete auf die Erhebung des Zehntens und hob auch das Interdikt auf, womit sein Vorgänger das Land belegt hatte, und die Stedinger standen nun nicht länger an, ihm zu huldigen.

Nachdem Gerhards Macht diesen bedeutenden Zuwachs erhalten hatte, schien der Sieg nicht länger zweifelhaft zu sein; die Bremer boten Alles auf, um dem geliebten Waldemar das Erzstift zu erhalten, bis der Kaiser selbst sich für Gerhard erklärte und Waidemars Parthei mit Waffengewalt zu vernichten drohte. Da sahen sich auch die Bremer genöthigt, ihrem Waldemar zu entsagen, entfernten ihn aus der Stadt und schlössen mit Gerhard und den verbündeten Stedingern Frieden. Doch starb der Erzbischof schon 1219, und seinen Nachfolger Gerhard u. kümmerte es nicht, daß sein Vorweser die Stedinger vom Zehnten befreit hatte. Er bestand auf die Entrichtung der Zehnten und anderer kirchlichen Abgaben mit großer Festigkeit, und da die Stedinger ihrer Gewohnheit nach dergleichen Zumuthungen mit Entschiedenheit zurückwiesen, so war der Frieden wieder gestört.

Auf Seiten des Erzbischofs standen die Grafen von Oldenburg und Wildeshausen, auf Seiten der Stedinger die stammverwandten Rüstringer. Auch mußte Otto von Lüneburg, dem der Erzbischof die Grafschaft Stade streitig machen wollte, ein natürlicher Verbündeter der, Stedinger werden.

6. Neue Fehden.

Von Neuem also kam der Krieg zum Ausbruch gegen Stedingerland und die damit verbündet waren. Der Erzbischof, ein kriegerischer Herr, schritt zum Angriff (1221), schlug seine Feinde bei Hoya und besetzte die dem Grafen von Wölpe gehörende Burg Ottersberg. Otto aber rächte sich dadurch, das er das Erzstift bis in die Nähe von Bremen mit Feuer und Schwert verwüstete und unermeßliche Kriegsbeute nahm.

Die Stedinger dagegen brachen in Verbindung mit den Rüstringern gegen Oldenburg auf und würden, ohne die Verrätherei eines ihrer Anführer, dasselbe überrumpelt und genommen haben. Jetzt aber hatte Graf Otto, welcher gewarnt war, Zeit, seine Edlen zusammenzurufen und zog dem Feind, welcher schon in die Vorstadt eingedrungen war, entgegen. Die Stedinger, erschreckt über den unvermutheten Widerstand, ergriffen bald die Flucht, und Graf Otto verfolgte sie bis in die Gegend des Moorriems; er ereilte sie bei Huntebrück, wo er einige der Anführer zu Gefangenen machte. Diese wurden zum Tragen des heißen Eisens verurtheilt und darauf erhängt.

Diejenigen, welche vom Schwert verschont geblieben waren, flohen nach Rüstringen und bewogen die Einwohner des Landes, die Waffen zu ergreifen, um den Tod ihrer Verbündeten zu rächen. Sie zogen stark gerüstet nach dem Moorriem. Die Oldenburger erwarteten sie zwischen Elsfleth und Huntebrück und erfochten einen vollständigen Sieg über die Eindringlinge, die sich aber jetzt ins nördliche Stedingerland wandten und durch Zerstörung des Siels bei Hammelwarden das ganze Land unter Wasser setzten.

Dieses Mal wurden sie durch die Entschlossenheit des oldenburgischen Drosten an weitern Verwüstungen gehindert. Der Widerstand desselben erbitterte die Rüstringer nur noch mehr; sie kehrten mit großer Verstärkung zurück, zertrümmerten alle Siele, die sie auf ihrem Zuge vorfanden, und Brand und Plünderungen bezeichnete ihren Weg.

Die Besitzungen der Edelleute im Moorriem hatten durch die Einfälle der Rüstringer besonders gelitten. Jene verabredeten also einen Rachezug nach den Wohnsitzen ihrer Feinde und trafen mit ihnen auf dem Boitwardermoor zusammen: hier aber zeigte es sich, daß der alte viel bewährte Muth der Rüstringer keineswegs erloschen sei. Denn es kam zu einer hartnäckigen Schlacht, in welcher die Mehrzahl der Edelleute den Tod fand. Dies war das letzte Mal, daß die Rüstringer zu Gunsten der Stedinger die Waffen ergriffen. Von jetzt an standen die Letzteren ganz allein.

Da der Moorriem der beständige Schauplatz dieser Fehden war und den Verheerungen feindlicher Krieger, so wie nach Zerstörung der Deiche und Siele den Verwüstungen der Wasserfluten ausgesetzt lag, zog sich die ganze Bevölkerung allmählig von dort zurück und siedelte sich im südlichen Theile des Landes an, daß der Moorriem endlich zur menschenleeren Einöde wurde. So wie eine Gegend von Menschen verlassen wird, pflegen die Raubthiere darin überhand zu nehmen, und es darf uns also nicht Wunder nehmen, wenn uns erzählt wird, die Wölfe hätten sich im Stedingerland so sehr vermehrt, daß sie ungestört in der Kirche zu Elsfleth ihre Jungen geworfen. Eben dasselbe wird auch von der Strückhauser Kirche erzählt.

Die Stedinger hatten jetzt mehrere Jahre hindurch Ruhe, da ihre Feinde in auswärtigen Kriegen beschäftigt waren. Sie selbst konnten wohl kaum daran denken, den Erzbischof und den Grafen von Oldenburg zu beunruhigen, da sie von hohen Wasserfluten und ändern Unfällen heimgesucht und in ihrem eigenen Lande zurückgehalten wurden. Sie mußten also zuvörderst daran denken, die zerstörten Deich und Siele wieder herzustellen und mußten die auswärtigen Angelegenheiten einer glücklicheren Zukunft überlassen. Doch war die augenblickliche Ruhe des Landes von den günstigsten Folgen für die Stedinger, indem jetzt aus Westphalen und den Niederlanden alle diejenigen dorthin zusammenströmten, welche wegen Meinungsverschiedenheit in religiösen Dingen von den Priestern ihrer Heimath verfolgt wurden. Es wird besonders bemerkt, daß sich unter ihnen besonders viele Waldenser befanden.

7. Die Kreuzpredigt

Auf diese Weise wurde das Volk durch eine Menge streitbarer Männer verstärkt, so daß ein alter Geschichtsschreiber die Bemerkung macht, es sei in den stadtähnlichen Dörfern des Landes allgemach eine solche kriegerische Menge zusammengekommen, daß die Stedinger wohl den Versuch hätten machen dürfen, alle Städte und Landschaften der Umgegend anzugreifen und zu erobern.

Diese Vermehrung der feindlichen Streitkräfte fing doch endlich an, bei dem Erzbischhof die ernstlichsten Besorgnisse zu erregen, und er beschloß, jetzt endlich Alles aufzubieten, um seine Feinde zu demüthigen. Da aber eine lange Erfahrung ihn belehrt hatte, daß er mit eigenen Kräften und auf gewöhnlichem Wege nicht ans Ziel kommen würde, so beschloß er von der Vergünstigung Gebrauch zu machen, welche der Papst Innocenz schon dem Erzbischof Hartwich verliehen.

Er ließ nämlich das Kreuz predigen gegen seine Feinde, und die Geistlichen, welche mit diesen Predigten beauftragt waren, schilderten die Stedinger als die ruchlosesten Verächter Gottes, die sich gegen ihre geistlichen Vorgesetzten die schrecklichsten Grausamkeiten hätten zu Schulden kommen lassen, und durch deren Bekämpfung sich Jedermann die Seligkeit des Himmels verdienen könne.

So geschah es denn, daß besonders aus den Grafschaften Lippe und Schwalenberg, so wie aus den Stiftern Bremen und Paderborn eine große Heeresmacht nach der Stadt Bremen zusammenströmte, um sich das Kreuz anheften zu lassen und als Kreuzfahrer gegen die Abtrünnigen den Himmel zu erwerben.

Mit diesem Haufen hoffte man bei eintretendem Frostwetter ohne Hindernisse in das wasserreiche Land vordringen zu können. Daß die Oldenburgischen Grafen sich diesem Kreuzheere anschlössen, liegt in der Natur der Sache; doch war Otto von Lüneburg nicht zur Theilnahme zu bewegen.

Um die Feinde desto unvorbereiteter zu überraschen, wurde der Weihnachtstag zum Ueberfall ausersehen, und da das Eindringen in die westlichen Landestheile durch die Befestigungen sehr erschwert wurde, so wandte man sich zuvörderst nach Osterstade.

Hermann von der Lippe, des Erzbischofs Bruder führte den Oberbefehl; der Erzbischof selbst befand sich im Zelte des Bruders. Aber die Stedinger waren keineswegs so unvorbereitet, wie man vorausgesetzt hatte, setzten sich männlich zur Wehr und erfochten, als der feindliche Feldherr sogleich beim ersten Anlauf gefallen war, einen glänzenden Sieg. Das ganze Kreuzheer wandte in graunvoller Flucht, und Stedingerland war für dieses Mal gerettet.

8. Die Inquisition.

Jetzt kam der Erzbischof zu der Ueberzeugung, daß er gegen die hartnäckigen Ketzer, gegen welche weder der geistliche Fluch noch die Kreuzpredigt die geringste Wirkung gehabt, eine höhere Gewalt zu Hülfe rufen müsse. Es hatte aber dazumal der Papst Gregor eine Ketzerverfolgung eingerichtet, die unter dem Namen der Inquisition noch Jahrhunderte nachher die Welt in Schrecken gesetzt und unnennbares Elend über ganze Länder verbreitet hat. Die Bischöfe wurden beauftragt, in jedem Kirchspiel einen Priester und einige Laien anzustellen, welche die Rechtgläubigkeit der Pfarrkinder überwachen und die Abtrünnigen zur Verantwortung ziehen mußten.

Solchem Geschäft unterzogen sich hauptsächlich die Dominicanermönche, unter denen sich der schon früher als Ketzerrichter vom Papst bestellte Conrad von Marburg hervorthat, von dem ein gleichzeitiger Schriftsteller, ebenfalls ein Geistlicher berichtet, daß er wegen wahrer oder erdichteter Ketzerei eine große Menge Menschen, Edel und Unedel, Mönche, Nonnen, Bauern und Burgmänner habe verbrennen lassen. Denn desselbigen Tages, wo Jemand wäre angeklagt worden, sei er auch, einerlei ob mit Recht oder Unrecht, ohne Vertheidigung oder Berufung an ein höheres Gericht, verurtheilt und verbrannt.

Dies war der Mann, an den sich der Erzbischof wandte und der sich der Sache wider die abtrünnigen Stedinger mit der größten Mordlust annahm. Wie er die Ketzereien der Stedinger dem Papste dargestellt habe, geht aus den eigenen Worten des Letzteren hervor:

"Die Stedinger," sagte er, "haben weder Scheu vor Gott noch Menschen, achten die Lehren der Mutterkirche geringe und suchen dieselbe zu unterjochen. Der Beginn ihres Abfalls soll sein, wie folgt: werden Neulinge in ihre Lehren eingeweiht und in die Schule der Frevler aufgenommen, so zeigt sich ihnen ein Frosch, oder wie man auch erzählt, eine Kröte, der die Einzuweihenden den Hintern oder das Maul küssen, und dabei ihre Zunge und ihren Speichel in den Mund nehmen. Dieser Frosch erscheint manchmal in natürlicher Größe, mitunter aber auch so groß, wie eine Ente oder eine Gans, ja bisweilen von dem Umfange eines Backofens."

"So wie der Einzuweihende weiter geht, naht sich ihm ein blasser Mann mit kohlschwarzen Augen und so mager, daß die Haut nur auf den Knochen zu hängen, daß Fleisch aber weggefressen zu sein scheint. Wenn der Neuling diesen küßt, fühlt er seine Glieder von eisigem Schauer durchrieselt, und mit diesem Kuß entweicht alles Andenken an den wahren Glauben aus seinem Herzen."

"Sobald sie sich nach eingenommener Mahlzeit vom Tische erheben, kommt von der Säule, die sich in ihren Versammlungen zu befinden pflegt, rücklings ein schwarzer Kater mit geringeltem Schwanz herunter, dem zuerst die Neulinge, dann die Vorsteher und wer dessen würdig gehalten wird, den Hintern küssen. Die Untergeordneten aber und die sich dieser Ehre sonst unwürdig halten, werden von den Vorstehern nicht zugelassen. Darauf begeben sich Alle wieder auf ihren Platz, wenden ihr Antlitz gegen den Kater und stimmen allerlei Zauberlieder an in seiner Gegenwart."

"Der Meister redet ihn mit den Worten an: Schone unser! was der Nächstfolgende wiederholen muß, und der Dritte spricht dann: Daß wissen wir Meister! Der Vierte spricht: Wir werden auch gehorchen. Nun werden die Lichter ausgelöscht und die abscheulichsten Werke der Finsterniß und Bosheit verübt."

"Nach diesen Schwelgereien werden die Kerzen wiederum angezündet, und Alle stellen sich in eine Reihe. Dann schreitet aus einer dunklen Kammer, wie sie sich in den Versammlungshäusern dieser Gottlosen befinden, ein Mann hervor, der oben heller ist wie die Sonne, unten aber rauh, wie ein Kater, und erleuchtet das ganze Gebäude mit hellem Glanz. Der Meister reißt ein Stück aus dem Kleide des Eingeweihten und überreicht dasselbe dem glänzenden Scheusal mit den Worten: Ich übergebe dir, was mir gegeben ist! Das Ungeheuer erwiedert: Du hast mir bisher treu gedient und wirst mir auch in Zukunft ergeben sein. Da hast Du zurück, was Du mir gegeben, worauf er plötzlich verschwindet."

"Sie empfangen auch jedes Jahr am heiligen Ostertage den Leib des Herrn, verfahren aber so abscheulich damit, daß es kaum zu erzählen ist. Denn sie haben ihn nicht sobald aus des Priesters Hand erhalten, so tragen sie ihn eilends im Munde zu Hause und werfen ihn in ein heimliches Gemach."

"Sie schonen keines Alters und Geschlechts, ja noch mehr, sie vergießen Blut wie Wasser, zerreißen Mönche und andere Geistliche gleich wilden Thieren und nageln sie, zur Beschimpfung des Gekreuzigten, kreuzweise an die Wand."

"Diese Unglückseligen erholen sich Raths bei bösen Geistern, fragen die Hexen bei ihren Abscheulichkeiten, lästern mit verruchter Lippe den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden und stellen die widersinnige Behauptung auf, der Herr des Himmels habe den Lucifer mit Unrecht und List in den Abgrund gestoßen. Dieser Letztere ist der Gegenstand ihrer Verehrung, ihn halten sie für den Schöpfer des Himmels und behaupten, er werde dermaleinst wieder zu seiner alten Herrlichkeit gelangen, den Herrn stürzen, und dann hoffen sie, mit ihm selig zu werden."

Solchen Unsinn gab man den Stedingern Schuld, auch daß sie den Teufel öffentlich anbeteten und das Bild des Asmodi in der Berner Kirche zur Verehrung aufgestellt hätten. In jener verhängnißvollen Nacht, wo sich in Bohlke von Bardenfleths Hause die Verwandschaft versammelte, um Rache zu nehmen an dem Frevler, fiel es wohl Keinem der Anwesenden ein, daß die beiden Mönche aus dem Kloster Hude sie belauschen und den Vorfall auf eine Weise entstellt zur Kunde ihrer geistlichen Obern bringen möchten, daß ihr Bericht im Laufe der Zeiten solche widersinnige Beschuldigungen, wie die angegebenen, begründen würde.

Der Papst beauftragte nun die Bischöfe von Minden, Lübeck und Ratzeburg, Mittel und Wege anzugeben, wie die Menschen von ihrer Ketzerei wieder erlöst und in den Schooß der Mutterkirche möchten zurückgeführt werden; denselben Auftrag ertheilte er Conrad und schrieb ihm zugleich, er möge, im Fall die Stedinger widerspänstig wären, ein heiliges Heer zu ihrer Bekehrung zusammenziehen. Conrad war aber der Meinung, daß Uebel sei zu sehr eingewurzelt, als daß noch gelinde Mittel anzurathen seien; er halte dafür, diese Pest müsse mit der Schärfe des Schwertes vertilgt werden.

Auf diese blutgierige Antwort Conrad's erfolgte denn auch in Kurzem ein verstärkter Aufruf des Papstes an die genannten Bischöfe, so wie an die von Paderborn, Hildesheim, Verden, Münster und Osnabrück, das Kreuz zu predigen. Die Bosheit Satans, lautete der Auftrag, der auf Tücke sinne und sich bei verhängnißvollen Begebenheiten am Thätigsten zeige, habe die Stedinger, welche eine bremische Landschaft bewohnten, wie der heilige Vater mit großen Schmerzen vernommen, der Verehrung des Schöpfers dermaßen entfremdet, daß sie in ihrer thörichten Blindheit den Weg der Wahrheit verlassen hätten und auf solche Irrwege gerathen seien, daß sie weder von Gottes- noch Menschenfurcht etwas wüßten und die Lehren der heiligen Mutterkirche in den Koth träten. Die Bischöfe möchten also das Volk versammeln und durch Ertheilung des Ablasses an Alle, welche sich zur Annahme des Kreuzes verstehen würden, eine gewaltige Kriegsmacht gegen die Teufelsdiener zusammen ziehen.

9. Der Stedinger Papst und Kaiser.

Fall des östlichen Stammes.

Die Demüthigung der Stedinger war also jetzt zu einer Angelegenheit der gesammten Christenheit erhoben worden, und der Kaiser säumte nicht, dem Bannfluch noch die Reichsacht hinzuzufügen und die deutschen Fürsten zur Theilnahme an dem Kreuzzug aufzufordern.

Nicht allein Niederdeutschland wurde von den Mönchen bearbeitet, auch in den Niederlanden und am Rhein predigten sie die Vertilgung jener Ketzerbrut, die einen geweihten Gottespriester erschlagen habe und ärger sei, als die Saracenen und heidnischen Preußen. Dabei wurde den Theilnehmern an dem Zuge außer der Aussicht auf eine große Beute auch der päpstliche Ablaß verheißen, gleich denen, welche wider die Ungläubigen ins Morgenland zogen. Die Bremer bewog der Erzbischof zur Theilnahme durch das Versprechen des dritten Theils der Kriegsbeute und Befreiung von Zöllen. Den geringsten Erfolg hatte die Kreuzpredigt bei den Friesen, die sich als Stammverwandte der Stedinger betrachteten und sogar die beiden bremischen Mönche, welche diese Lauheit tadelten, aus dem Lande jagten.

Das Volk aber, dem alle diese Rüstungen galten, achtete das wenig; hatten sie schon früher an die Inquisition und das Interdikt sich nicht gekehrt, so spotteten sie auch jetzt des päpstlichen Bannes und der Reichsacht. Und da sich der Papst und der Kaiser von ihnen losgesagt hatten, so entsagten auch sie solcher ungerechten und gewaltthätigen geistlichen und weltlichen Obrigkeit und erwählten, theils aus Spott, theils, um der Welt zu zeigen, daß ein freies Volk sich selber genug ist, aus ihrer Mitte einen Kaiser und Papst, auch Erzbischöfe, Bischöfe und Pröbste, die denn auch in Schriften und Briefen mit solchem Namen benannt wurden.

Endlich hatte sich in Bremen ein zahlreiches Heer versammelt, dem der stolze Name der Heerschaaren Christi beigelegt wurde. Weil aber der Erzbischof sah, daß es zur Bewältigung des Feindes in den westlichen, durch Schanzen befestigten Wohnsitzen nicht zahlreich genug sei, so beschloß er zuerst in Osterstade einzufallen, daß von allen Seiten offen war. Die Bewohner des Landes rechneten zwar auf die Unterstützung Otto's von Lüneburg, der sich ihrer Sache stets angenommen hatte und auch jetzt in die Grafschaft Stade eingefallen war; aber sie hatten sich verrechnet. Denn als der Herzog mit dem päpstlichen Bann bedroht wurde, im Fall er den Stedingern zur Hülfe ziehen würde, ging er mit seinem Raube zu Hause und überließ die Osterstader ihrem Schicksal.

Diese ließen indessen den Muth nicht sinken, sondern machten den Versuch, ob Tapferkeit und Kraft ersetzen möchten, was ihnen an Mannszahl abging, und griffen die Kreuzfahrer am Tage Johannis und Pauli unverzagt an. Aber wie rüstig sie auch waren in Kampf, sie mußten der Uebermacht erliegen und vierhundert der Ihrigen bedeckten die Wahlstatt. Auch eine Menge Weiber und Kinder wurden niedergehauen, und eine große Anzahl gerieth in schmähliche Gefangenschaft; die Wenigen, welche entkamen, werden zu ihren Brüdern über die Weser geflohen sein. Das Land aber wurde vollkommen zur Einöde gemacht, und die gefangenen Anführer mußten als Zauberer und Ketzer den Scheiterhaufen besteigen.

Gerhard unternahm alsbald einen Angriff auf die westlichen Stedinger, welche er durch den Fall ihrer Brüder entmuthigt glaubte. Er erschien mit seinen Schiffen, um die Verschanzungen zu umgehen und zerstörte die Deiche, um das Land unter Wasser zu setzen. Aber dieser Angriff wurde muthig zurückgeschlagen, und er mußte unverrichteter Sache wieder abziehen.

Mehre Jahre wurde jetzt der Krieg mit abwechselndem Erfolge fortgesetzt. Bald neigte sich der Sieg auf die eine, bald auf die andere Seite. Doch kam es eine lange Zeit hindurch zu keiner eigentlichen Entscheidung. Da auch die Rüstringer des Bündniß mit den Stedingern aufgegeben hatten, entweder aus Verdruß über die wiederholten Niederlagen oder aus Furcht, ebenfalls mit dem Bann belegt zu werden, so waren die Einwohner des Landes Wursten die einzigen auf deren Beistand die Verfolgten noch rechnen konnten.

Aber ein stärkerer Hort für das bedrängte Volk waren die Verschanzungen, welche sie mit großer Kunst und unter umsichtiger Benutzung des Bodens von Himmelskamp und Schönenmoor an bis zum Altenesch all-mählig aufführten, deren Spuren der aufmerksame Beobachter noch heutiges Tages verfolgen kann. Dieselben waren in drei Reihen hinter einander angebracht, so daß, im Falle die vordere vom Feinde erstürmt werden sollte, die folgenden noch gehörigen Schutz gewähren und den Rückzug decken konnten.

In diesen Verschanzungen lagen die Stedinger, um dem nahenden Sturm die Stirn zu bieten, vierzigtausend Männer, Weiber, Greise und Kinder, ein ganzes Volk, von Siegeshoffnungen erfüllt, aber den Tod nicht scheuend. Es kam die Kunde, daß Tausende und aber Tausende zu ihrer Vernichtung herbeizögen von nah und fern, so daß die Stadt Bremen die Menge der Kreuzfahrer nicht fassen könne. Dennoch erzitterten sie nicht, im Vertrauen auf Gott und ihre gerechte Sache, und als ein Paar Mönche in blindem Eifer es wagten, in die Verschanzungen einzudringen, um zur Buße und zur Entrichtung des Zehnten zu ermahnen, wurden sie von dem erbitterten Volke erschlagen.

10. Der große Tag von Altenesch

Alles war in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten; eine Heereskraft, wie zur Bekämpfung der Stedinger herbeizog, war in diesen Landen unerhört. Aber das geängstigte Häuflein war immer auf seiner Huth, und wo der Feind eine Blöße zeigte, mußte er stets eines Ueberfalls gewärtig sein. Die Schlutterburg, welche der Erzbischof nach zweimaliger Zerstörung wieder erbaut hatte, wurde im Sturm genommen und von Grund aus zerstört, weil ihre Nähe den Stedingern gefährlich schien.

Jetzt zog der Graf Burchard von Wildeshausen heran, der mit zweitausend Streitern zum Kreuzheer stoßen wollte. Er hielt es für ein Leichtes, den Stedingern eine Niederlage beizubringen und wollte sich vor seiner Vereinigung mit dem Heere einen Lorbeer erwerben; aber seine Leute konnten dem Angriff des hervorbrechenden Feindes nicht widerstehen, und der Graf selbst fand in dem Treffen bei Himmelskamp mit vielen der Seinen ein klägliches Ende.

Durch diese Erfolge wurde die Hoffnung der Stedinger, daß ihnen an dem verhängnißvollen Tage der Sieg nicht entgehen werde, nur noch mehr gesteigert, und Alles deutete darauf hin, daß dieser große Tag nicht fern sei.

Denn es zogen aus allen deutschen Gauen die schlachtenkundigsten Kriegsleute herbei, um in dem bevorstehendem Kampf Geld und Gut zu gewinnen und das ewige Leben; auch die Fürsten und Edlen der Sachsen, Rheinländer, Westphalen und Niederländer, besonders aber der flandrische Adel hatten ihre Schaaren zu diesem Kriege herbeigeführt. Die Häupter und Anführer dieser Heerhaufen waren der Herzog Heinrich von Brabant, Florenz, der Graf von Holland und Seeland, Graf Diedrich von Cleve, Diedrich, Graf von der Mark, die oldenburgischen und wildeshauser Grafen, Gerbert von Stotel, die Herrn von Maten, Wilhelm von Egmont, Gerhard von Mühlwerth, Gerhard von Diest. Der bremische Adel und die vertriebenen Junker des Stedingerlandes werden sicherlich nicht gefehlt haben.

Das ganze Heer bestand aus vierzigtausend Streitern, die auf's Beste bewaffnet waren und wovon ein großer Theil beritten war. Die Stedinger, dieser furchtbaren Macht gegenüber, zählten, mit den vielen Flüchtlingen, welche sich seit längerer Zeit bei ihnen eingefunden hatten, eilftausend streitbare Männer, die ihren Gegnern, wenn auch an Muth überlegen, doch in Rücksicht auf ihre Waffen und ihre Kriegserfahrung, als einfache Landleute bei Weitem nicht gewachsen waren. Der Gedanke, für die altangestammte Freiheit, für Weib und Kind und den eigenen Heerd zu kämpfen, mußte ersetzen, was ihnen an eigentlicher Kriegskunde und Kopfzahl abging.

Der ursprüngliche Plan der Kreuzfahrer war, von Bremen aus geradewegs die Verschanzungen anzugreifen. Indeß hatte der Tod des Grafen Burchard von Wildeshausen sie vorsichtig gemacht; sie sahen daraus, wie aufmerksam der Feind auf jede Annäherung gegen die Festungswerke sei, und da sie kein Mittel sahen, auf der freien, baumlosen Ebene zwischen Bremen und der Ochum den Stedingern ihr Vorrücken zu verbergen, so mußte ein anderer Plan erdacht werden, in die Veste des Feindes einzudringen und ihm wo möglich in den Rücken zu kommen.

Man dachte also darauf, die Stedinger von der Weserseite anzugreifen, wo sie, sich sicher dünkend, keine Festungswerke aufgeführt hatten. Da es gefährlich schien, das Heer auf Flößen überzusetzen, so sah man sich genöthigt, zwei Schiffbrücken zuzurichten, die eine, um das Heer bei Moorlosen über die Weser und den Ochumer Sand zu führen, und eine zweite, um den Uebergang über die Ochum zu bewerkstelligen. Fahrzeuge waren bald in hinreichender Anzahl gefunden, zumal da man die Schiffe zu Hülfe nahm, auf denen die zahlreichen Niederländer gekommen waren.

Es war an einem Donnerstag vor Himmelfahrt 1234, als man in Bremen das Urbansfest mit großer Feierlichkeit beging, um den Muth des Kreuzheeres auf alle Weise zu erhöhen; denn auf Sonnabend hatte man den allgemeinen Angriff anberaumt.

Da man aber die Wachsamkeit und Tapferkeit des Feindes fürchtete, so hielt man es nicht überflüssig, denselben zu täuschen und seine Aufmerksamkeit von dem bedrohten Punkt hinwegzuziehen. Deshalb mußte am Freitag ein starker Heerhaufe gegen Himmelskamp vorrücken, um die Stedinger in der Meinung zu bestärken, als solle dort der Hauptangriff Statt finden. Das Hauptheer aber zog mit Einbruch der Nacht aus dem nördlichen Thore von Bremen, still und geräuschlos, um nicht des Feindes Aufmerksamkeit zu erregen, aber voll Blutdurst und Beutegier, Rachsucht und Mordlust. Das waren die Streiter Jesu, der den Sterblichen das Gebot der Liebe und Versöhnung gebracht, das waren die Bethörten, welche rachedürstige Priester beredet hatten, zur Ehre des allerbarmenden Gottes das Schwert zu ziehen.

Mit Tagesanbruch waren die Schaaren an ihrem Bestimmungsort, bei Moorlosen, wo der beste Übergangspunkt zu sein schien, weil dort der Strom mit bedeutender Biegung ins Stedingerland eindringt. Die Brücke war vollendet, und die ganze Heeresmacht zog ungehindert über den Strom. Denn die Gesammtmacht der Stedinger hatte sich nach Himmelskamp gezogen, dem Punkt, der ihrer Meinung nach am Meisten bedroht war, und als sie ihren Irrthum erkannten, wandten sie sich eilend gegen die Hauptmacht des Feindes; aber es war zu spät.

So geschah es denn, daß das ganze Kreuzheer gegen Mittag den Uebergang bewerkstelligt hatte und sich den Stedingern gegenüber befand. Diese hatten sich nach altdeutscher Art in Schlachtordnung aufgestellt, keilförmig; auf dem Hügel St. Veit, Bohlke von Bardenfleth, der die Bewegungen der südlichen Stedinger leitete, Ditmar von Dieke, der die Wüstenländer herangeführt hatte, Tanno von Hunthorp, dem die geflüchteten Einwohner des Moorriems gefolgt waren. Die fremden Flüchtlinge waren gleichmäßig unter die einzelnen Heerhaufen vertheilt.

Als das Kreuzheer heranrückte, ermahnte Bohlke von Bardenfleth das Volk, ihrer Vorfahren, ihres Vaterlandes und ihrer Freiheit eingedenk zu sein. Wenn sie am heutigen Tage ihre alte Mannhaftigkeit bewährten, so seien die Geistlichen, die so viele Jahre hindurch Schmach und Jammer über das unglückliche Vaterland gebracht, in ihre Hand gegeben. Sollte ihnen aber das Glück des Krieges nicht hold sein, so werde jeder auf rühmliche Art zu sterben wissen, und den Tod schmählicher Knechtschaft vorziehen. "Aber nicht verzagt!" rief er. "Wir wollen in sie einbrechen, wie der Wolf unter die Lämmerheerde fährt, und unsere Schlachtwuth wird die Ueberzahl ausgleichen."

Auch die Anführer des Kreuzheeres hielten es nicht für überflüssig, die Ihrigen zur Tapferkeit und Ausdauer gegen den gefürchteten Feind anzufeuern. Sie hätten eine gerechte Sache, und wären vom heiligen Vater, von Kaiser und Reich nicht zu einem gewöhnlichen Kampf entboten, sondern um die gottesvergessenen Ketzer zu züchtigen, welche die Diener Gottes beschimpft und vertrieben und Tausende von streitbaren Kriegern ihrer Wuth geopfert, deren Blut zum Himmel schreie. Nicht umsonst seien sie versammelt von allen Enden der Welt, sondern um blutiger Rache willen und um Beute zu gewinnen und Ehre. Gräben und Moräste verhinderten ihnen den Rückzug; deßhalb solle Jeder mannhaft und ritterlich ans Werk gehen zur Ehre Gottes und um der ganzen Welt zu zeigen, daß es noch Männer gäbe, vor denen der irdische Stolz sich demüthigen müsse.

Jetzt begann die Schlacht und von beiden Seiten wurde mit großer Erbitterung gekämpft. Unaufhaltsam drang der Keil der Stedinger vor in die Reihen des feindlichen Heeres und es war vergeblich, daß der Herzog von Bra-bant und die ändern Führer die Ihrigen mit Wort und Tath zum Widerstand ermunterten. Die Stedinger warfen Alles vor sich nieder mit ihren Speeren und Streitkolben, und auch der Graf Heinrich von Oldenburg, der im Getümmel der Schlacht mit seinem Pferde stürzte, wurde zu Boden geschlagen. Die Niederlage des Kreuzheeres schien gewiß, und mit beklommener Brust und von banger Ahnung erfüllt, stand die zahlreiche Geistlichkeit, welche der Heerfahrt sich angeschlossen, in der Ferne auf dem Deich, ließ den Gesang: "Mitten wir im Leben sind" und andere Bußlieder erschallen, und flehte den Himmel um den Sieg des Kreuzes wider die Ungläubigen an.

Aber das Fußvolk hielt kaum noch Stand, und die einzige Hoffnung beruhte jetzt auf der Reiterei. Diese wurde von einem kriegskundigen Herrn befehligt, dem Grafen Heinrich von Cleve. Der sah nicht sobald das siegreiche Vordringen der Stedinger, als er beschloß, aus diesem Umstände Vortheil zu ziehen. Er brach in Verbindung mit dem Herrn von Maten auf, zog über den Feldweg, arbeitete sich durch die sumpfigen Niederungen hindurch, hatte somit den rechten Flügel des Feindes umgangen in dem Augenblick, als der Kampf am heißesten war, und schritt sogleich zum Angriff.

Jetzt erhielt die Schlacht eine andere Wendung. Denn da die Stedinger diesen Fall nicht vorausgesehen und im Rücken keine Vorkehrungen zur Abwehr des Feindes getroffen hatten, so waren sie augenblicklich von allen Seiten eingeschlossen. Eine Zeitlang zwar leisteten sie den eindringenden Kreuzfahrern tapfern Widerstand; bald aber geriethen ihre Haufen in Verwirrung und wurden gänzlich aus einander gesprengt. Die Flucht war jetzt allgemein.

Viele von ihnen versuchten die Schanzen zu erreichen und, im Verein mit der darin befindlichen Besatzung, die Feinde am Vordringen zu verhindern. Aber ein Bollwerk nach dem anderen fiel in die Hand der Feinde, welche die Männer niederhieben, während wehrlose Greise und jammernde Weiber und Kinder von den Hufen ihrer Rosse zermalmt wurden. So wurde alles Leben in den Schanzen dem Verderben geweiht. Der Tod hielt eine reiche, schreckliche Ernte; es war ein ganzes Volk, welches bei dem unheilvollen Hügel St. Veit der Vernichtung preisgegeben wurde.

Ein kleiner Stedingerhaufen, der gleich im Anfange abgeschnitten war, zog sich bis nach Sannau zurück, in dessen Umgegend man noch heutiges Tages die Ueberbleibsel alter Befestigungen findet. Ein anderes Häuflein suchte Schutz in den Gebüschen von Horst und Schönmoor. Aber die Hoffnung der Flüchtigen, dort eine sichere Zuflucht erreicht zu haben, wurde auf's Bitterste durch den ergrimmten Feind getäuscht, welcher die letzten Überbleibsel des unglücklichen Stedinger Volks mit ungestillter Wuth aus seinen Schlupfwinkeln trieb. Die Unglückseligen wurden entweder von ihren Verfolgern niedergehauen, oder fanden ihren Tod, indem sie auf nächtlicher Flucht in Gräben und Sümpfe geriethen. Die Wenigen, welche dem allgemeinen Blutbade entronnen waren, stürzten sich in die Weser, als sie die Annäherung ihrer Verfolger vernahmen; sie wollten lieber eine Beute des vaterländischen Stromes werden, als in die Hände des blutgierigen, erbarmungslosen Feindes fallen.

Die Anzahl der gefallenen Stedinger wird auf siebentausend angegeben; über viertausend Kreuzfahrer fanden an diesem heißen Tage ihren Tod. Zweifelhaft ist es, ob Bohlke von Bardenfleth dem Blutbade entronnen sei.

Von den Führern des Kreuzheeres kamen verschiedene um in dieser Schlacht, als die oldenburgischen Grafen Heinrich von Oldenburg, und Heinrich von Wildeshausen; ferner Gerhard von Diest, Wilhelm von Egmont und Gerhard von Mühlwerth. Mehre andere schwebten in großer Lebensgefahr, so unter Andern der Herzog Heinrich. Doch machen gleichzeitige Schriftsteller auf die merkwürdige Thatsache aufmerksam, daß die übrigen Leiter und Führer dieses schauderhaften Kriegs bald nachher ein gewaltsames Ende gefunden haben; wie es denn bekannt ist, daß der Graf von Holland bald hernach auf Anstiften eines Grafen von Clairmont ermordet, der Graf von Cleve aber auf seiner Rückkehr in einem Turnier zu Nimwegen niedergestochen, Conrad von Marburg endlich, der gräuliche Ketzerrichter, von Wegelagerern erschlagen wurde. Des Letzteren Tod erregte unbeschreiblichen Jubel; denn seine Ketzerverfolgungen hatten durch das ganze Deutschland Furcht und Haß erregt.

11. Des Landes letzten Schicksale

Bei der außerordentlichen Wärme, welche sich einstellte, mußte man, um Krankheiten und Seuchen zu verhüten, auf eine beschleunigte Beerdigung der Gefallenen denken. Man bestattete also die Leichen von dem eigentlichen Schlachtfelde auf dem jetzigen Kirchhof in Süderbrok, Alles durch einander, Feind und Freund, Kreuzfahrer und Ketzer, wie es sich eben traf, und daneben wurde eine Kapelle gebaut zu Ehren des heiligen Gallus. Auch auf dem Schlachtfelde selbst wurden zwei Bethäuser erbaut aus Dankbarkeit gegen Gott wegen des verliehenen Sieges, und zwar die St. Veits Kapelle in der Nähe der Ochtum, an der Stelle, wo die Schlacht zuerst entbrannt, und die Martinskapelle unweit Sannau, wo die Niederlage des Feindes völlig entschieden war. Diejenigen aber, welche nachher auf der Flucht erschlagen worden, wurden wahrscheinlich zu Warfleth beerdigt.

Um diesen großen Sieg zu verherrlichen, wurde von der Geistlichkeit in der Stadt Bremen eine große Procession veranstaltet, auch am fünften Sonntage nach Ostern ein feierliches Hochamt abgehalten.

Die geringen Ueberbleibsel des Volks wurden vom Papst begnadigt und mit der bremischen Kirche, der die Stedinger jetzt gelobten, in allen Dingen zu gehorchen, wieder versöhnt.

Die Oberherrschaft über des Land wurde den am Meisten bei dem Kriege Betheiligten abgetreten, dem Erzbischof von Bremen und den Oldenburgischen Grafen, bis sie im Laufe der Zeiten den Letzteren allein zu Theil wurde.

Aber die meisten Höfe hatten ihre ursprünglichen Besitzer verloren und standen leer. Damit wurden Kreuzfahrer belehnt, Adlige, und solche, welche sich in dem letzten Kriege besonders ausgezeichnet hatten, so daß man annehmen darf, daß nur ein sehr geringer Theil der jetzigen Bewohner jenes Landstrichs von dem alten Stedinger Volke abstammt.

Mögen aber auch die Stedinger bis auf den Namen von der Erde verschwunden sein, jenes tapfere Volk, das es wagte, unverzagt der Uebermacht entgegenzutreten, um sein altangestammtes Recht gegen die Uebergriffe der anmaßenden Geistlichkeit mit der Schärfe des Schwertes zu beschirmen; sein Name wird nie erlöschen auf den ehernen Tafeln der Geschichte, und im Gedächtniß der spärlichen Nachkommenschaft. Und daß selbige fort und fort an die Großherzigkeit der Ahnen erinnert und zur Nachahmung gereizt werden möge, wenn die Ungewisse Zukunft den Tag heraufbeschwören sollte, wo es gilt, den heimischen Heerd zu schützen vor fremdem Uebermuth, hat in unseren Tagen, wo der alte Groll vergessen und gerechter Bewunderung gewichen ist, ein edler Sproß des gefallenen Heinrichs, der Großherzog des Landes, den Gefallenen auf der Wahlstadt eine Denk- und Ehrensäule errichtet. Solches geschah gerade 600 Jahre nach der Schlacht, im Jahre 1834.